Selber schleppen – ich bin doch nicht blöd!

Welche Rolle spielt eigentlich der Online Lebensmittelhandel und wie wird er sich in den nächsten Jahren auf die Supermärkte auswirken? Strategiepapiere der Edeka und des Einzelhandelsverbandes sehen große Veränderungen als wahrscheinlich an. Selber schleppen – ich bin doch nicht blöd! Einen 2. Vollsortimenter braucht es nicht.

Nicht erfolgreich. Der Dorfladen in Wörthsee. Foto: Ziegler

So sieht Amazon unsere glückliche Zukunft. Foto: Amazon Fresh Presse

Brucker Netz

Das Brucker Netz. Neuer regionaler Online-Lieferdienst für Regio- und Bio-Produkte. Quelle: Webseite

DHL bringt Einkauf Co2 frei

DHL bringt den Online-Kauf Co2 frei Foto: S. Bleek

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Laden von Saeed Haghighi in Steinebach – Klein und erfolgreich. Foto: S. Bleek

In einem Strategiepapier der Edeka für die 2020er Jahre wird auf die Zunahme der Online Lieferdienste auch im Lebensmittelhandel verwiesen. Tatsächlich geben auch in einer neuen Studie des Einzelhandels bereits 30% der Kunden an, dass sie immer häufiger Nahrungsmittel im Internet bestellen. Das betrifft nicht so sehr die Frischware, aber die haltbare Lagerware. In Großstädten wie München allerdings hat sich der Lieferdienst auch für Frischware bereits etabliert. Die Edeka sagt den Vollsortimentern harte Zeiten voraus und möchte mit „Erlebniswelten“ kontern. Daran mag man glauben.

Werden Online-Lieferung und Frischware-Abholung die Zukunft?

Niemand kann die Zukunft voraussehen, aber ein Szenario, in dem sich eine Kombination aus Online-Bestellung mit Lieferdienst für Dauerware und kleinen „Points of Sale“ für Frischware durchsetzt, liegt durchaus im Rahmen der wahrscheinlichen Alternativen. Zwar hat der Online-Handel im Bereich der schnelllebigen Verbrauchsgüter – oder amerikanisch „FMCG“ – noch nicht die Marktanteile anderer Bereiche, aber laut Analytikern ist er rasant im Kommen: „Die Möglichkeit der Bestellung von Lebensmitteln im Netz wird jährlich (bereits) von rund 3,65 Millionen Menschen in Deutschland genutzt.“ (Sandra Ahrens, Statista, 29.10. 2020)

Die im Durchschnitt älter werdende Bevölkerung wird sich schwere Ware wie Drogerieartikel, Getränke, Konservenvorräte und alle trockenen und haltbaren Lebensmittel in die Wohnung liefern lassen. Das ist bequem und praktisch. Online-Bestelldienste können anhand der Einkaufshistorie automatisiert fehlende Waren erkennen und zum Nachkauf vorschlagen. Dieses Segment des Online-Handels wächst derzeit mit über 15% im Jahr. Die Supermärkte verlieren also immer mehr Kunden. „Gefragt sind vor allem haltbare Lebensmittel, denn das Vertrauen in die Produktqualität kann der Online-Versand aus der Sicht der Konsumenten bei frischen Lebensmitteln (noch) nicht gewährleisten. Frische und Preis sind jedoch die wichtigsten Kriterien beim Kauf von Lebensmitteln.“ (Sandra Ahrens, Statista, 3.11.2020)

Online ist eine wahrscheinliche Zukunft und nicht ein weiterer Riesenmarkt, gefüllt weitgehend mit haltbarer Allerweltsware, die bequem online bestellt und nach Hause geliefert werden kann. Ganz neu für Wörthsee ist das „Brucker Netz“, ein Onlineshop mit Lieferdienst für regionale und BIO-Lebens- & Genussmittel, die im Landkreis Fürstenfeldbruck und Umgebung hergestellt werden. Selber schleppen? Ich bin doch nicht blöd!

Klein hat also doch Zukunft?

Für Wörthsee möchte niemand eine Prognose erstellen, die das eindeutig bejaht. Der Wochenmarkt ist mangels Interesse wieder eingeschlafen, der Dorfladen wurde nicht ausreichend angenommen – was allerdings sehr spezielle Gründe haben mag. Alle kleine Läden sind weg? Nein, es gibt einen bescheidenen und erfolgreichen Kaufmann in Steinebach. Saeed Mosafer Haghighi führt seinen Obst-, Gemüse- und Feinkostladen seit 24 Jahren. Er liefert an Kunden, die es wünschen, nicht erst seit der Corona Krise frei Haus. 2016 schreibt der Münchner Merkur dazu: „Er hätte es viel besser gefunden, wenn die Gemeinde die kleinen Betriebe, „die sie ja auch immer unterstützen wollte“, in einer Art Einkaufscenter zusammengefasst hätte. „Aber das ging angeblich nicht.“

Die ISEK Planung hat Online übersehen

Die Städteplaner von ISEK haben das Thema der Kombination von Online-Lieferung und Kleinladen in ihren Betrachtungen bislang überhaupt nicht gesehen – meines Erachtens ein Versäumnis.

Große Lebensmittelketten wie Tegut beginnen bereits die Kooperation mit Lieferdiensten wie Amazon Fresh. REWE und Edeka bieten vielerorts bereits eigene Lieferdienste an. Was sich auf gar keinen Fall mehr ökonomisch sinnvoll darstellen lässt, sagen die Edeka-Strategen ebenfalls: zwei große Anbieter von über 1000 m2 Verkaufsfläche mit jeweils zu kleinem Einzugsbereich. Ein zweiter Vollsortimenter in Wörthsee müsste in erheblichem Maße Kunden aus der weiteren Umgebung anziehen. Dort werden allerdings ebenfalls Erweiterungen der bestehenden Märkte (Edeka Seefeld) gebaut oder sind neue Sortimenter in Planung, wie in Hechendorf.

Ein Wettlauf „Wer hat den größten Markt im Ort?“ ist ein Fehler.
Zwei Vollsortimenter nah beieinander sind unsinnig.

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