Hohe Verkehrsbelastung kleingerechnet
Der zweite Vollsortimenter-Supermarkt soll in nur 1200 Meter Entfernung zum bestehenden großen Edeka Vollsortimenter gebaut werden. Wie steht es um die Verkehrsbelastung infolge des Projekts? Hierzu wurden die vorgeschrieben Gutachten eingeholt. Doch überraschenderweise arbeiten sie mit Basiszahlen, die weit zu niedrig sind.
Wird es hier zukünftig zu Staus kommen? Täglich + 18 LKW sowie + 1000 PKW? Das soll „verkehrsberuhigend“ wirken.
Auszug Verkehrsgutachten. PKW Zahlen um 66% zu niedrig. LKW Zahlen um bis zu 112% untertrieben. Originalzahl schwarz, Korrektur in blau. Bild: Verkehrsgutachten.
„Ob Kunden mögliche Fußwege im Rahmen ihres Einkaufs zurücklegen ist von vielen Faktoren abhängig (…) Topographie, leichte Anstiege stellen i.d.R. bereits ein K.O. Kriterium dar“
„Das zu erwartende Verkehrsaufkommen innerhalb des Gebiets durch einen Nahversorger mit ca. 1200m2 Verkaufsfläche stehen einer ruhigen Wohnnutzung gegenüber.“
„Die Altersgruppe der Senioren spielt in der Mobilität eine große Rolle. In der Folge ist eine Zunahme der PKW Nutzung bei gleichzeitiger Abnahme der fußläufig zurückgelegten Wege der Senioren festzuhalten. (…) Entgegen der landläufig oft geäußerten Vorstellung, nimmt die Mobilität mit dem Alter derzeit zu.“
„…wie die meisten Discounter zwischen 4:30 und 7:30, da muss dann halt einer da sein. Ich hab mal in ’nem Supermarkt gearbeitet, Obst und Gemüse kam da um 5:30, Samstag um 4:30…“
Gutachten zum Verkehr mit zu niedrigen Zahlen
Wie gut rechnen die Gutachter, wenn es um die durch den neuen Vollsortimenter zu erwartende Verkehrsbelastung geht? Dazu wurden ein Verkehrs- und ein Lärmgutachten eingeholt. Im Lärmgutachten wird der zu erwartende Autoverkehr vom Gutachter angesetzt. Hierzu erwartet er, dass von 1200 Marktkunden am Tag 600 den PKW nutzen. Woher kommt diese Zahl? Dazu heißt es im Verkehrsgutachten auf Seite 6: „Nach Angaben eines potenziellen Marktbetreibers ist für die geplante Verkaufsfläche des Lebensmittelmarktes von einem kundeninduzierten Aufkommen von maximal 600 Pkw am Tag auszugehen.“
Zahlen im Gutachten vom „potentiellen Betreiber“ geliefert
Diese Zahl des „potentiellen Supermarktbetreibers“ (also des Investors?) macht der Gutachter ohne eigene Abschätzung zur Grundlage seiner Rechnungen. Ist diese Zahl von 50% Auto fahrenden Kunden realistisch? Laut Studie zur „Nahversorgung im ländlichen Raum“ des bayerischen Wirtschaftsministeriums nutzen im Durchschnitt mindestens 80% der Kunden z.B. wegen der schweren Einkaufstaschen den PKW für ihren Einkauf. Bei dem nur einen Kilometer entfernten Edeka Nahversorger sind es über 90%. Die ungünstige Topographie am geplanten Standort für den zweiten Nachversorger und die auch dort geringe Bewohnerdichte im 1 Km Radius lassen die ungünstige Zahl erwarten.
1000 PKW täglich
Also sind bei 1200 Kunden täglich nicht 600 sondern 60% mehr, also 960 PKW (=80% der Kunden) mit 2000 An- und Abfahrten realistisch. Der Gutachter unterschlägt 360 PKW oder fast 40% des zu erwartenden PKW Verkehrs.
LKW-Lieferverkehr ab 4 Uhr früh?
Auch die Zahlen zur Belieferung des Markts hat sich der Gutachter ungeprüft vom Investor geben lassen. Laut Gutachten fahren pro Tag 8 LKW-Fahrten zur Belieferung des Supermarktes 2 in den Ort hinein und wieder hinaus. Die Edeka in Walchstadt hat mit 1006 m2 inkl. Backshop eine etwa gleich große Verkaufsfläche wie der neue Markt (inkl. Shop 1040 m2). Laut Gutachten zur Lärmimmission kommt beim neuen Markt der erste Liefer-LKW nach 6 Uhr morgens. Das hat Gründe. Nach 6 Uhr gelten weniger strenge Schallschutzanforderungen. Er spricht von „Vereinzelten Anlieferungen zwischen 6:00 und 7:00“ (S. 15). Bei der Edeka Waldbrunn kommt der erste LKW jedoch bereits um 4 Uhr früh. Und die meisten Anlieferung geschehen vor 7 Uhr, damit bis zur Öffnung um 8 Uhr eingeräumt werden kann. Mitarbeiter anderer Märkte bestätigen dies. Nicht dagegen die Gemeinde.
Morgens um 7 ist die Wörthsee-Vollsortiments-Welt in Ordnung?
Die Bürgermeisterin hält dagegen. Die Gemeinde wird eine so frühe Anlieferung untersagen. Erst ab 7 Uhr soll geliefert werden. Gute Idee: Dann ballen sich die LKW An- und Abfahrten ausgerechnet in der Stunde des Schulwegs der Kinder. In der Spitzenstunde des Berufsverkehrs. Wo laut Gemeindezeitung die Busse zur S-Bahn rollen. Und: um 7 Uhr soll laut Gemeindezeitung der Markt bereits geöffnet werden. Das wird lustig zugehen auf dem steilen und engen Parkplatz. LKW-Sattelzug rangiert rückwärts in die eingehauste Entladestation. Kunden-PKW stehen im Weg, der nächste LKW wartet schon. Das Idyll setzt sich fort im Innern des Marktes, wo gestreßte Teams innerhalb von Sekunden (ab 7 geöffnet – ab 7 beliefert) tonnenweise Frischware in die Regale räumen sollen.
Bis 18 LKW täglich
Im Verlauf des Tages werden nicht insgesamt 8, wie der Gutachter annimmt, sondern mindestens 12 und bis zu 18 LKW an- und wieder abfahren. Der Gutachter rechnet also auch hier mit Zahlen die zwischen 50% und 112% zu niedrig angesetzt sind. Wir sind keine Gutachter, aber es wäre schon nötig, dass Gutachten mit realistischen Zahlen zu rechnen. Es könnte ja sein, dass der Markt damit gar nicht zulässig wäre?
Geht so Verkehrsberuhigung?
Sind vielleicht sogar noch mehr PKW-Fahrten zu erwarten? Auf der Umsatzseite wird zum Beispiel im „CIMA“ Wirtschaftlichkeits-Gutachten unterstellt, dass auch viele Badegäste und Touristen den neuen Markt nutzen werden. Der See liegt nicht fußläufig. Diese Kundschaft würde mit ihren eher unterdurchschnittlich hohen Umsätzen nochmals höheren PKW-Verkehr mit sich bringen.
Der Standort zieht also erheblichen zusätzlichen LKW- und PKW-Verkehr in den Ort, wo doch eigentlich das Ziel sein sollte, den Autoverkehr zu reduzieren. Alle 30 Sekunden wird auf der Straßenkreuzung zur Etterschlager Straße, direkt vor dem geplanten Seniorenzentrum ein Auto ein- oder ausbiegen, nur für den Supermarkt. Der Planer sieht direkt an der Einmündung auf der Etterschlager Straße zwei barrierefreie Fußgängerüberwege vor. Eine chaotische Situation an dieser Kreuzung ist vorhersehbar. Planungen wie die beiden Radwege entlang einer erheblich verkleinerten Etterschlager Straße, die die Gemeinde seit Jahren vor sich herschiebt, werden illusorisch. Für die Befürworter des Projekts wird dagegen „Sowohl das innerörtliche Verkehrsaufkommen, als auch Einkaufsfahrten (…) reduziert.“ Eine krasse Fehleinschätzung.
Die Gemeinde wirbt mit der Entstehung einer attraktiven neuen Ortsmitte am Teilrain, was ich persönlich sehr begrüßen würde. Wörthsee ist so ein langer „Wurm“, da wird der geplante Bereich sicher keine Ortsmitte werden, aber ein neuer attraktiver Ortsbereich mit Treffpunktqualitäten könnte entstehen.
Nur ist es nicht widersprüchlich, das einerseits mit Verkehrsberuhigung geworben wird und andererseits durch den Vollsortimenter nicht nur mehr Lastwagenverkehr angezogen wird.
Die Verkehrsbelastung in der Gegend wird eindeutig steigen! Ob dies einer Treffpunktqualität nicht widerspricht? Warum an einem großen Supermarkt seinen Kaffee genießen, wenn es wunderbare Plätze am nahen See gibt? Die Logik erschließt sich mir nicht.