Fragwürdige Wirtschaftlichkeit

In nur 1200 Meter Entfernung vom bestehenden großen Edeka Vollsortimenter soll ein weiterer Supermarkt gebaut werden. Das wirft Fragen auf. Wie steht es um die Wirtschaftlichkeit des Projekts?

Karte der Gemeinde Wörthsee. Quelle: Bayernatlas

Eine langgestreckte und zerfaserte Gemeinde: Wörthsee. Quelle: Bayernatlas

Edeka Waldbrunn

Die Edeka im Ortsteil Waldbrunn. Foto: S. Bleek

Edeka Standortanforderung

Edeka Standortanforderung für Verkaufsfläche: 5000 Ew. im Kerngebiet für 1000 m2 Verkaufsfläche. Quelle: Edeka Strategiepapier.

Supermarkt Kuckuckswald – Wirtschaftlichkeit schöngerechnet?
Einzelne Gemeinderäte sind „empört“, dass Bürger es wagen, ihre Supermarktplanung in Frage zu stellen. Bei der Durchsicht der Gutachten und Stellungnahmen zu diesem Projekt ergeben sich allerdings Zweifel, ob das Konzept überhaupt wirtschaftlich tragfähig ist.

Die kaufkräftigen 5000

Wörthsee hat etwas über 5000 Einwohner – verteilt auf 5 Ortsteile. Laut bayernweiter Studie „Nahversorgung in Bayern“ (Staatsministerium Wirtschaft, 2011) benötigt ein (1!) einzelner Supermarkt in der geplanten Größenordnung um 1.200 m2 zur Rentabilität einen Einzugsbereich von mindestens 5000 Einwohnern. Die Gutachter versuchen dennoch die Rentabilität und den wirtschaftlichen Gewinn des Vorhabens gegenüber den Nachteilen wie Flächenverbrauch, Verkehr etc. zu behaupten. Im CIMA Gutachten wird unterstellt, der bestehende Edeka Markt würde mit derzeit 7-8 Mio. Umsatz pro Jahr nahezu das Doppelte des Umsatzes eines durchschnittlichen Edeka Supermarktes erwirtschaften. Unterstellt wird dann, der neue Markt würde einen Umsatzrückgang für die vorhandene Edeka von 25% oder etwa € 1,9 Mio. bedeuten. Die zum Erreichen der Rentabilitätsschwelle des neuen Marktes nötigen weiteren € 2,3 Mio. werden mit der kühnen Annahme einer Steigerung der Lebensmittelkäufe in Wörthsee um 30% auf € 9,5 Mio. ermittelt. Damit würden sich beide Einrichtungen gerade so eben rechnen.

Das Marktwunder vom Wörthsee?

Ist eine solche große Wachstumserwartung realistisch? Die Gutachter summieren hierfür Umsätze auf, die bislang im weiteren Umland getätigt werden. Einkaufsfahrten in größere Zentren haben im Alltag verschiedene Motive. So die Bündelung des Kaufs von z.B. Drogerieartikeln und Lebensmitteln. Oder die Zusammenlegung von Einkäufen mit z.B. Arzt- oder Dienstleisterbesuchen (laut Studie „Nahversorgung“ sind das 43% der Kunden). Oder der Einkauf bei Spezialanbietern für Frischfisch oder Metzgerei, für Feinkost oder asiatische bzw. italienische Waren, für Weine und Getränke und so weiter. Berufspendler kaufen häufig am Arbeitsort ein. Laut Studie „Nahversorgung“ tun dies im ländlichen Raum im Durchschnitt 52% der Pendler. Den rasant zunehmenden Online-Lieferservice lassen die Gutachter ebenfalls völlig außer Acht.

Ort der lockeren Geldbeutel?

Argumentiert wird im Gutachten auch mit der überdurchschnittlich hohen Kaufkraft in Wörthsee. Daher seien höhere Ausgaben pro Kopf für Lebensmittel anzunehmen. Das ist fraglich, da die Wörthseer wie alle Bundesbürger besonders bei Lebensmitteln durchaus preissensibel sind. Kaum jemand ist bereit, für Standardartikel des Grundbedarfs höhere Preise als bei der Konkurrenz zu zahlen. Die Fahrt zum Discounter bleibt trotz nahem Supermarkt angesagt. So gesehen ist das Projekt ganz besonders deshalb nicht sinnvoll, weil es zum bestehenden nur einen Kilometer entfernten Edeka Supermarkt nur einen weiteren mit vollkommen identischer Konzeption addiert.

Die Neubürger als Kundenbasis?

Die im Umfeld des Projekts neu entstehenden 120 Wohnungen bedeuten bei 2,25 Bewohnern pro Wohnung (das ist der Durchschnitt in Bayern) gerade einmal 270 Kunden, oder 0,54% der üblichen Einzugsbereichsgröße von 5000 Kunden. Das oft zu hörende Argument des Bevölkerungswachstums ist also irrelevant, es sei denn, der Gemeinderat plant eine rasante Vergrößerung des Orts.

Wer wird eigentlich Betreiber?

Bis heute ist es dem Vernehmen nach unklar, ob eine Supermarktkette bereits eine verbindliche Zusage für den Betrieb des neuen Markts abgegeben hat. Der Investor spricht lediglich von „Interessenten“. Also wittert hier anscheinend keiner das große Neugeschäft und die Annahmen der Gutachter scheinen weniger die Realität zu beschreiben als vom Gemeinderat erwartetes Wunschdenken zu bedienen.

Sind andere Anbieter denkbar?

Einen Discounter als Betreiber will niemand und den schließt der Gemeinderat explizit aus. Wäre jedoch etwa ein Bio-Supermarkt denkbar? Ein Betreiber aus der hochwertigen Ökoszene (DennS o.ä.) wurde von dem Investor bisher dem Vernehmen nach ebenfalls nicht gefunden. Das Umsatzversprechen des Gutachters wird offenbar auch bei den Betreibern solcher Märkte nicht geglaubt.

Wird es sogar schlechter als besser?

Kann der neue Markt die örtliche Versorgung sogar verschlechtern? Ein Umsatzrückgang pro Einheit durch möglicherweise „zuviel“ an Verkaufsfläche mit identischen Artikeln könnte im Gegenteil zu manchen Erwartungen dazu führen, dass z.B. Frischwarenangebot in den beiden Märkten mangels Umschlagstempo schlechter wird und daher eventuell Märkte in größeren und weiter entfernten Standorten noch attraktiver werden.

Droht eine Bauruine?

Wird der Neubau am Ende leerstehen? Das CIMA Gutachten traut seinen eigenen Annahmen nicht so ganz über den Weg und schließt: „Einschränkend ist hingegen die Wettbewerbssituation des Planvorhabens zu bewerten. Mit Edeka Günl befindet sich ein direkter Wettbewerber mit vergleichbarer Verkaufsfläche seit mehreren Jahren als eingeführter Versorgungsstandort nur ca. 1 km nördlich des Planvorhabens. Dieser Anbieter in sehr verkehrsgünstiger Lage wirkt sich begrenzend auf den zu erwartenden Umsatz aus.“

Unsere Alternativen

Wie aber sähen mögliche Alternativen aus? Hier mehr dazu:

Dr. Stephan Bleek
Veröffentlicht als Leserbrief (Kurzfassung) in der SZ 30.01.2021 Starnberg