Ein Supermarkt als Ortsmitte?
Ein Vollsortimenter-Supermarkt als neue Ortsmitte? In einer Nebenstraße im Kuckuckswald in Wörthsee? Das wirft Fragen auf. Wie durchdacht ist dieses Projekt?
Die Gemeinde Wörthsee ist sehr lang gestreckt, locker bebaut und ohne gemeinsames Zentrum der Ortsteile. Quelle: Bayernatlas
Ein Kilometer Radius um den bestehenden (blau) und den geplanten (rot) Supermarkt. Ein Drittel der Nah-Kundschaft überlappt. Quelle: Bayernatlas, Bearbeitung SB.
155 Regentage zählt Wörthsee im Jahr. Regen, Schnee, Glatteis oder große Hitze sind gute Gründe, nicht zu Fuß zum Einkaufen zu gehen. Foto: D Bleek
Zum Standort Kuckucksstraße
Schafft ein, zwei, viele Zentren!
Das „Problem“ bei allen neuen Planungsansätzen in Wörthsee ist die Zusammensetzung der Gemeinde aus 5 (bzw. 7) Teilgemeinden, die eine schmale, langgestreckte Siedlung bilden, die keine Ortsmitte hat. Die Gemeinde hat sich vorgenommen, am Teilsrain nachzubessern und hier ein neues Zentrum entstehen zu lassen. Gleichzeitig plant die Gemeinde jedoch in Steinebach am Kirchenwirt ein weiteres Ortszentrum. Ist das sinnvoll? Das von der Gemeinde erbetene Gutachten „Feinstudie am Teilsrain“ bleibt skeptisch: „Eine wesentliche (offene) Frage ist auch die Gestaltung und Gewichtung eines möglichen Kernbereichs oder sogar Ortszentrums “Am Teilsrain“ und der Einfluss auf vorhandene bzw. neu entstehende Kernbereiche innerhalb des Gemeindegebiets, wie bspw. das Areal „Am Kirchenwirt“ im Altort Steinebach.“
Ein Supermarkt als Zentrumsbilder?
Um dem Areal am Teilsrain „Zentrumsqualität“ zu verleihen, setzt der Gemeinderat auf den „Nahversorger“. Dem Supermarkt wird damit eine hohe soziale Qualität zugesprochen. Jedem, der einen Supermarktbetrieb kennt, mag das fragwürdig erscheinen. Praxis ist doch: Mit dem Auto zum Parkplatz, mit dem rasselnden Wagen durch den Markt, Zahlen und wieder raus, Einkauf rein ins Auto und weg. Ein Supermarkt mit Backshop als sozialer Ort für‘s Schwätzchen, zum Innehalten, zur Begegnung? Das wirkt doch sehr realitätsfern. Ein neues Ortszentrum entsteht so nicht.
Was ist ein Nahversorger oder wird es weniger Autorverkehr geben?
Was ist ein Nahversorger? „Unter dem Begriff Nahversorgung wird allgemein die fußläufige Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs verstanden. Dabei werden zehn Gehminuten oder ca. 1.000 Meter als Zielwert in der Literatur und in kommunalen Nahversorgungskonzepten angesehen.“(Studie: Bundesumweltministerium, Sicherung der Nahversorgung in ländlichen Räumen. Impulse für die Praxis) Man meint also Einkaufen zu Fuß.
Zu Fuß erreichbar?
Was ist in Wörthsee vom Argument „fußläufig erreichbar“ zu halten? Zweifellos ist der neue Standort unter diesem Aspekt auf den ersten Blick etwas besser, als der bestehende Marktstandort Günl Waldbrunn. Wegen des sehr zerfaserten Dorfs aus 7 Ortsteilen sind jedoch an jedem denkbaren Standort jeweils nur relativ wenige Bürger im Einzugsbereich von einem Kilometer vorhanden, viel zu wenige, als zur Rechtfertigung eines weiteren Marktes in nur einem Kilometer Abstand voneinander plausibel wären. Hinzu kommen weitere negative Fakten. In der Stude „Nahversorgung in Bayern“ des Bayerischen Wirtschaftsministeriums heißt es zum Beispiel klipp und klar: „Das Kriterium „Distanz“ stellt lediglich eine erste Orientierung zur Bewertung der Nahversorgungssituation dar. (…) Ob Kunden mögliche Fußwege im Rahmen ihres Einkaufs zurücklegen ist von vielen Faktoren abhängig (…) Topographie, leichte Anstiege stellen i.d.R. bereits ein K.O. Kriterium dar“.
Gelände ist K.O. Kriterium
Für Wörthsee stellt sich die Situation am Teilsrain leider genau so dar: die Topographie im 1-Km-Radius ist bergig, also extrem ungünstig (=K.O. Kriterium). Der Höhenunterschied zwischen geplantem Standort und See beträgt 34 Meter. Fußwege oder Radwege fehlen. Der Gutachter der Feinstudie „Am Teilsrain“ schreibt auf S. 29: „Der erhöhte Flächenverbrauch und das zu erwartende Verkehrsaufkommen innerhalb des Gebiets durch einen Nahversorger mit ca. 1200m2 Verkaufsfläche stehen einer ruhigen Wohnnutzung gegenüber.“
55 Parkplätze – 1000 Autos am Tag?
55 Parkplätze sind am neuen Supermarkt geplant. Die Bürger werden weiter das Auto zum Einkaufen benutzen und das CIMA Gutachten schreibt dazu: „Durch die Lage in unmittelbarer Nähe zur Hauptverkehrsachse Etterschlager Straße stellt sich die Erreichbarkeit des Projektstandorts für Pkw-Kunden als gut dar, wenngleich sich die direkte Anfahrbarkeit des Edeka Günl an der Hauptverkehrsachse besser darstellt. „CIMA Gutachten“ S.21.
Unterstellt wird hier für beide Märkte selbstverständlich, dass das Gros der Kunden das Auto nutzen wird. Die Idee eines großen Anteils an Fußgängerkunden am Teilsrain ist nicht plausibel.
Wußte das Niemand?
Die Gemeinde hat tatsächlich lange und intensiv planen lassen. In der „Feinstudie am Teilsrain“ von 2018 stellt der Gutachter an verschiedenen Stellen die Nachteile des Konzepts fest. Auf Seite 38 listet er die Nachteile des Standorts so auf:
- „Problem Naturschutz bleibt trotz Abrücken vom Waldrand
- Wald als nicht integrierte Restfläche
- Zufahrt topografisch schwierig
- separate Erschließung Wohnbebauung schwierig
- rückwärtige Lage – intensive Werbung an der Etterschlager Straße notwendig (Pylon)
- hoher Flächenverbrauch bei oberirdischer Parkierung
- Verkehr im ruhigen Wohnbereich
- weniger Fläche für Wohnbebauung
- höhere Bebauung notwendig, Staffelung zum Bestand oder zur Natur schwierig
- barrierefreie Verbindung Seniorenzentrum (an der Kirche geplant) / Nahversorger schwierig“
Auf Seite 43 stellt er fest:
„Die bestehende Konkurrenz vor Ort (EDEKA) bedingt für Investoren/Betreiber gewisse Grundvoraussetzungen für den Betrieb eines zweiten Supermarktes:
- bequeme Erreichbarkeit und Nutzbarkeit (d.h. ebenerdige Parkierung) (PKW-Erreichbarkeit)
- differenziertes Sortiment (d.h. große Verkaufsfläche) (…)
Eine kompakte, dem Standort und der Topografie angemessene Lösung mit einer Parkierung unter oder über der Verkaufsfläche wird von den bisherigen Investoren/Betreibern abgelehnt.“
Als weiterer Standortnachteil wird dann festgestellt:
„Die rückwärtige Lage an der Kuckuckstraße mit schwieriger Zufahrt (Hang) kann den dauerhaften Betrieb des Supermarkts gefährden. Diese Lage ist nur mit einer intensiven Bewerbung (beleuchteter Pylon an der Etterschlager Str.) möglich.“
Der Gutachter windet sich sichtlich, ein von ihm negativ gesehenes Konzept doch plausibel erscheinen zu lassen. Sein Fazit: „Ein alternatives, seniorengerechtes Nahversorgungskonzept mit erweitertem Dorfladenangebot, ergänzt und unterstützt durch zusätzliche aktiv genutzte Angebote, könnte eine mögliche, wenn auch mit Risiken (Fortbestand) behaftete Alternative sein. Dies würde aber nicht den aktuellen Wünschen der Gemeinde nach einer umfassenden Nahversorgung entsprechen.“
Das heißt, die Gemeinde hat von vorneherein den „aktuellen Wunsch“ gehabt, hier einen Vollsortimenter-Supermarkt zu errichten. Bei den Planungs- und Begutachtungsprozessen wurde mit erheblichen Manipulation der Zahlen zur Wirtschaftlichkeit und zur Verkehrsbelastung gearbeitet, um die riesigen Nachteile des Projekts kleinzureden. Eine neue Ortsmitte wird ein Vollsortimenter-Supermarkt nicht schaffen.
Weitere Artikel zum Standort des Vollsortimenters:
Argumente für den Nahversorger am Teilrain sind zu finden unter: www woerthsee-mitte.de
Vielen Dank Harald Lossau. Tatsächlich sollen sich die Bürger umfassend informieren. Erklären Sie mir bitte aber bei Gelegenheit auch auf dieser Webseite zum Beispiel, warum die Zahlen zum durch Kunden zu erwartenden Autoverkehr in den Gutachten (Verkehr, Lärm) um 66% untertrieben werden. 600 Fahrzeuge am Tag statt 1000. Die Basis-Maßzahl von 600 hat der interessierte Investor geliefert. So schreibt es der Gutachter. Klingt nicht gerade seriös. Freundliche Grüße, Stephan Bleek.
Für eine neue Ortsmitte hätte ich noch einen besseren Vorschlag als einen Supermarkt – wie wäre es stattdessen mit einer Tankstelle? Wenn die groß genug wird, dann wirkt sie nicht nur verkehrsberuhigend (niemand muss mehr nach Inning oder Gilching zum Tanken fahren), sondern deckt auch noch alle Bedürfnisse des täglichen Lebens (wie Backwaren, Wurstsemmel und Klopapier) ab.
Zu einer weitere Verkehrentlastung kann der Bau einer zweiten Tankstelle in der Nähe vom Paradieswinkel beitragen …
„Tanken und Wohnen in Wörthsee“ :-)
Benedikt, genial! Warum bin ich da noch nicht draufgekommen?
B.Gahn
Warum brauchen wir in Wörthsee tatsächlich 2 Vollsortimenter?
Wegen einer Bürgerbefragung von anno dazu mal bei der sich nur ein Bruchteil der Einwohner beteiligt hat. Wenn wir fragen würden, wollen wir ein großes Gartencenter würde sich bestimmt auch zunächst erstmal eine Mehrheit finden.
Aber der Punkt ist, das rechnet sich einfach nicht und Gefahr eines späteren Leerstandes ist groß. Entweder der Standort oder der bisherige Edeka Standort würden früher oder später aufgeben, weil es einfach nicht rentabel ist.
Warum kommen unsere Nachbargemeinden Inning, Seefeld mit einem Supermarkt aus und wir brauchen angeblich zwei?
Spätestens wenn man dann liest wer die Interessenten sind, müsste man stutzig werden Edeka und Feneberg sind mehr oder weniger genau das Gleiche wie unser bestehender Supermarkt. Rewe hatte schon einmal abgesagt, wird aber jetzt wieder mit aufgeführt. Um die Senioren der umliegenden Wohnungen zu versorgen, bräuchte es eigentlich einen unkomplizierten Lieferservice und dazu einen Bäcker/ Café, bei dem man auch mal schnell eine Milch oder ein Stück Butter kaufen kann (ähnlich wie in Seefeld).
Der jetzige Edeka mag nicht optimal platziert sein, aber er ist da und zum Wocheneinkauf so ehrlich sollte man sein, geht tatsächlich kaum jemand zu Fuß, auch nicht die Senioren.
Die Nachbargemeinde Seefeld hat seit mehr als 12 Jahren eine Wochenmarkt, mit frischen, natürlichen Erzeugnissen. Jeden Donnerstag von 8 bis 13 Uhr.
Ob Obst und Gemüse, Backwaren, Käse- und andere Molkereiprodukte, ob Fleisch- und Wurstwaren, Fisch, Pilze, Honig, oder Marmelade, ob Imbiss-Stand, oder die Vielfalt von Blumen, Stauden und Gebinden – die Gemeinde wirbt, der Markt ist immer ein Besuch wert!
In Inning macht sich die Grünen-Gemeinderätin seit ihrem Amtsantritt für einen Wochenmarkt in der Gemeinde stark und freute sich riesig, als ihr die Ratskollegen grünes Licht gaben. Es muss nur noch eine Marktsatzung ausgearbeitet werden. Daran arbeitet nun Innings Rathausverwaltung. Die Stände sollen Donnerstags ab April 2021 mitten im Ort aufgestellt werden und im günstigsten Fall die Ortsmitte und ihre Geschäfte beleben. 15 Fieranten gingen in die Auswahl mit einem Angebot von Brot, Käse, Gemüse/Obst bis zu einem „Unverpackt-Stand“. Es geht auch anders als „Vollsortimenter“, wir müssten es nur wollen.
Mehr dazu unter:
https://www.merkur.de/lokales/starnberg/inning-ort377112/wochenmarkt-startschuss-am-april-90172898.html
https://www.merkur.de/lokales/starnberg/inning-ort377112/auswahl-der-fieranten-kann-beginnen-90190462.html
Das Pfaffenerhofener Land macht’s vor, alles was man täglich braucht gibt es unter https://www.pfaffenhofenerland.de/
Online bestellen und jeden Samstag von 9 Uhr bis 12 Uhr am Wochenmarkt abholen oder nach Hause liefern lassen.
Obst, Gemüse, Käse, Fleisch, Eier, Brot, Milch, Getränke alles was die Saison hergibt.
Regional. Saisonal. Direkt vom Erzeuger.
Warum nicht auch bei uns?