Was habt ihr eigentlich gegen ALDI, LIDL, REWE, EDEKA & CO?

Die Gemeinderäte haben sich entschieden, einen großen Supermarkt, betrieben von einer der großen Ketten als Ortszentrum zu planen. Was mich neben den bereits geäußerten Argumenten wie dem ungeeigneten Standort, der Naturzerstörung oder der Verkehrsbelastung auch stört, ist die marktgestaltende Rolle der Lebensmittelriesen.
Einkauf bei REWE

Marketingbild REWE: Glücklich beim Einkauf. Die Produkte in den Regalen der großen Anbieter sind weitgehend gleiche Markenware. Foto: REWE

Pressefoto von Tönnies: Schinken vom Fließband. Hocheffizient und fabrikmäßig hergestellt – ein Familienunternehmen! Foto: Tönnies

Lidl Bio-Regal

BIO beim LIDL. Besonders diese Kette setzt derzeit voll auf BIO-Produkte. Pressefoto: LIDL

Statistik: Anteil der Ausgaben der privaten Haushalte in Deutschland für Nahrungsmittel, Getränke und Tabakwaren an den Konsumausgaben in den Jahren 1850 bis 2019 | Statista

„Laut den Vereinten Nationen wird weltweit ungefähr ein Drittel der produzierten Nahrung verschwendet, das entspricht jährlich 1,3 Milliarden Tonnen. Während Menschen im Süden Afrikas und in Süd- und Südostasien im Schnitt pro Jahr sechs bis elf Kilogramm wegwerfen, sind es in Europa und Nordamerika 95 bis 115 Kilogramm.“

Was wäre, wenn ... deutsche Supermärkte keine Lebensmittel mehr wegwerfen dürften?, brand eins
REWE-Lokalpartnerschaft3

Zum Schluss das REWE-Idyll: So wirbt REWE allen Ernstes für seine „Lokalpartnerschaften“ im Jahr 2021. Rot zu werden braucht REWE bei diesem Schmunzes nicht mehr. Foto: REWE Presse

Die fabrikmäßig-rational gebaute Großstruktur der geplanten Vollsortimenterbehausung spiegelt auch ein Innenleben. Die großen Handelsketten schreiben von sich „Wir können Lebensmittel“. Sie sind Großkonzerne deren Geschäftsmodell eine hocheffiziente und durchrationalisierte Warendistribution ist. Der hohe Konkurrenzdruck zwingt sie zu immer effizienterer Logistik und Höhe an Marktanteilen, um durch die schiere Absatzmenge die minimalen Margen kompensieren zu können. Für den preisbewussten Verbraucher scheinbar ein Paradies. Die Ausgaben der Bundesbürger für Lebensmittel sanken bis zur Jahrtausendwende kontinuierlich und liegen seither konstant auf niedrigem Niveau von etwa 10,8%. „Diese Entwicklung ist mit den Verbraucherpreisen für Lebensmitteln zu erklären, die im Vergleich zu anderen Lebensbereichen in den vergangenen Jahren deutlich langsamer angestiegen sind.“ Sandra Voss, Statista 2020

„Wir können Lebensmittel“

Die Größe der ALDIs, LIDLS, REWEs oder EDEKAs hat aber auch andere Folgen. Rational ist für sie der Großeinkauf mit entsprechenden Rabatten bei wenigen Anbietern. Dies führt in der Lebensmittelverarbeitung zum Beispiel beim Fleisch zu ähnlichen Prozessen wie in der Vermarktung. Die Betriebe werden auch hier immer weniger und diese wiederum größer. Tönnies ist ein Beispiel. 6,65 Mrd. Euro Jahresumsatz erzielte das Familienunternehmen im Jahr 2018. Am Beispiel Tönnies sieht man auch, wie in der Massenproduktion von Lebensmitteln im Interesse des niedrigen Preises jegliche Moral oder jeglicher Anstand in der Behandlung von Beschäftigten oder in der Behandlung der „verarbeiteten“ Tiere auf der Strecke geblieben sind. „Täter“ und „Opfer“ sind gleichgestellt untergeordnet unter das Gebot maximaler Effizienz.

Im Einkauf von Tönnies setzt sich dasselbe Spiel gegenüber dem erzeugenden Bauern fort. Auch hier wird immer mehr Produkt, also Tiere, Gemüse, Getreide, Obst etc. aus immer größeren und effizienteren Strukturen angefordert, zu immer niedrigeren Stückpreisen. Das Sterben der kleinen Bauernbetriebe hat hier seine Ursache und auch alle negativen Begleiterscheinungen wie Pestizid- oder Antibiotikaeinsatz, Flächenmonotonie, Gülleschwemme oder die durchweg skandalösen Zustände in der Erntearbeit mit Billigarbeitskräften aus Afrika oder Osteuropa. Die niedersächsischen Schweinemäster müssen wegen der Nitratverseuchung des Grundwassers bereits ihre Gülle in Tanklastzügen z.B. in die Mittelgebirge karren, um dort bisher unbelastete Böden zu verseuchen. Deutschland versinkt in Schweinescheiße.

Ein Tempel der Effizienzmaximierung

Insofern errichtet die Gemeinde mit diesem Großsupermarkt, betrieben von einem Großbetrieb ein Denkmal für eine Erzeugungs- und Distributionsstruktur, die für die allermeisten negativen Entwicklungen in der Landwirtschaft verantwortlich ist.

Sie mögen einwenden: EDEKA und wie sie alle heißen verkaufen doch auch BIO Produkte. „Leider ist halt nicht überall BIO drin, wo BIO draufsteht“ wäre eine zu leichte Antwort. Nachdem zurzeit etwa die Preise für BIO Fleisch gelegentlich bereits unterhalb dem Preis von normalen Preis liegen zeigt sich ein fatales Thema. Die BIO-Branche geht den Schritt aus der Hochpreisnische heraus und prompt muss sie sich mit denselben Effizienzkriterien auseinandersetzen, die in der normalen Agrarproduktion gelten. Diese Problematik war vor einigen Jahren bereits in München Thema, als die BIO Marktkette BASIC mit LIDL fusioniert werden sollte. Die Hermannsdorfer Landwerkstätten sind damals aus dem BASIC Gesellschafterkreis ausgeschieden und gehen eigene Wege. Die Fusion fand letztlich nicht statt, weil auch die Beschäftigten und Kunden dagegen protestierten.

Das Gros der Verbraucher – auch in Wörthsee – sucht preiswerte Ware. Eine Analystin des Lebensmittelmarkts schreibt: „Grundsätzlich liegt der prozentuale Anteil für Lebensmittel an den privaten Konsumausgaben umso niedriger, je entwickelter eine Volkswirtschaft ist, doch kann er auch Hinweise auf Unterschiede bezüglich der Wertschätzung von Lebensmitteln und Esskultur liefern.“ Sandra Ahrens, Statista, 03.03.2020. An der Statistik ist jedoch auch interessant, dass bei den Lebensmittelausgaben seit dem Jahr 2000 sich nicht mehr viel verändert. Es geht wieder leicht nach oben.

Das große Wegschmeißen

Bei aller Effizienzsteigerung – reibungslos funktionieren die Vollsortimentermärkte keineswegs. Die WWF-Studie „Das große Wegschmeißen“ schätzt, dass 14 Prozent der Lebensmittelabfälle auf den Handel entfallen, also vor ihrem Verkauf weggeschmissen werden und 39 Prozent auf die Haushalte, die mehr einkaufen als sie verzehren können. Das Wegschmeißen hat meines Erachtens aber vor allem etwas zu tun mit Überfluss für Nichts. Der niedrige Preis hat die Wertschätzung des Lebensmittels zerstört.

„Unterschiede bezüglich der Wertschätzung von Lebensmitteln und Esskultur“?

Was bedeutet Wertschätzung von Lebensmitteln und Esskultur? Auf jeden Fall nicht große Strukturen der Handelsketten in eine Ortsmitte bauen. Es gibt regionale Anbieter, meist Familienbetriebe, wie die Ökokiste, Metzgerei Ruf, die Gärtnerei in Walchstadt, die qualitativ hervorragende und in kleinen landwirtschaftlichen Betrieben der Umgebung erzeugte Produkte anbieten. Was besser schmeckt muss man für echten Genuß nicht in Mengen konsumieren. Weniger und besser ist mehr – das gleicht den höheren Preis solcher Qualitätsware mehr als aus. Sie werden es am Monatsende im Budget erleben, wenn sie konsequent auf solche Ware umsteigen. Der Bauer wird es Ihnen danken, der in Ihrer Versorgung Beschäftigte auch. Und im Interesse der Gesundheit ist es auch, wenn man mit dem Essen aufhört, wenn es am schönsten ist. „Nichts verhindert den rechten Genuss so wie der Überfluss.“ wußte schon Montaigne vor 500 Jahren.

Autor dieses Beitrags: Stephan Bleek