Weniger Tempo – mehr Lebensqualität
Etwa 70 Bürgerinnen und Bürger nahmen an der Veranstaltung zur Straßenverkehrssituation am 11. Oktober teil. Die lebhafte Diskussion brachte den starken Wunsch nach Veränderung der gegenwärtigen Regelungen zum Ausdruck. Als ersten Schritt fordert die Initiative Artenvielfalt nun den Gemeinderat auf, T 30 in allen Gemeindestraßen einzuführen. Und das „dicke Brett“ Staatsstraße soll mit neuen Argumenten angebohrt werden.
Moderiert von der Journalistin Dietlind Klemm diskutierte ein Podium aus Bürgermeisterin Christl Muggenthal, Markus Büchler, Sprecher für Mobilität der Landtagsfraktion der Grünen, Martin Held vom ADFC und Doja Muggenthaler von der Initiative Artenvielfalt.
Doja Muggenthaler erläuterte einleitend die Ergebnisse der Verkehrsumfrage in Wörthsee, deren Ergebnisse im Artikel Umfrageergebnisse zu Tempo 30″ vorgestellt worden sind. Das Podium brachte zum Ausdruck, dass derzeit in sehr vielen Gemeinden die Zeichen auf Temporeduzierungen stehen. Die heutige Verkehrssituation erfordere aus Gründen des Lärm- und des Personenschutzes neue Maßnahmen und die Novelle der Straßenverkehrsordnung schreibe hierzu neue Zielvorgaben. „Vision Zero“ ist das Stichwort in der neuen Durchführungsverordnung für die Straßenverkehrsbehörden beim Thema Personenschäden. Das heißt, dass der Präventionsgedanke (keine Verkehrsunfälle mit Todesfolge oder schweren Personenschäden) nun als „Grundlage aller verkehrlichen Maßnahmen“ maßgebend geworden ist. Nachdem im Gemeindegebiet Wörthsee es bereits tödliche Unfälle aufgrund nicht angepassten Tempos gegeben habe, sei die Lage auch für die Staatsstraße eigentlich klar. Ohne neue Limits kann „Vision Zero“ in Wörthsee nicht erreicht werden. Wen es interessiert: diese Vision wird in der Verwaltungsvorschrift zur STVO oben angestellt: siehe VwV StVO §§1. Mit diesen Informationen konnte Markus Büchler der Versammlung Mut machen, sich energisch für die Durchsetzung dieser neuen Vorgaben zu engagieren.
Ein weiterer Punkt der STVO-Novelle betrifft die T 30 Vorschrift im Bereich von Schulen, Kindergärten, Altenheimen oder medizinischen Einrichtungen – bis zu 250 Meter muss in diesen Bereichen das Tempo auf T 30 gedrosselt werden. Auch hier ist Wörthsee noch (rechtswidrig) großzügig, wie die Gemeindestraße im Bereich des Urban-Dettmar-Hauses oder die Kreuzung Schulstraße / Etterschlager-Straße zeigen. Eine Mutter brachte es auf den Punkt: „Ich muss dort immer an dem Gedenkkreuz für die tödlich verunglückte Schülerin vorbei. Ehe meine Kinder hier totgefahren werden, bringe ich sie lieber mit dem Auto zu Kita und Schule.“ Man möchte sarkastisch hinzufügen, dass sich hier der Kreis der „Freude am (raschen) Fahren“ schließt: fließen muss der sich selbst erzwingende Verkehr. Steigen Sie ein.
Kopfschütteln nach der Auslandsreise
Es ist in der Tat für denjenigen, der gerade aus dem Auslandsurlaub in Österreich, Italien oder Frankreich zurückgekehrt war, eine merkwürdige Debatte. Hier wird mit Leidenschaft um etwas gerungen, dass andernorts im Ausland längst flächendeckende Praxis ist.
In Frankreich werden zum Beispiel in geschlossenen Ortschaften, ob groß oder klein, immer Tempo 30 Vorgaben kombiniert mit einer Reihe von Zebrastreifen, gemalt auf „Ralentisseurs“ – Bodenschwellen. Der Verkehr auf den unseren Staatsstraßen vergleichbaren „Routes Départementales“ (D) wird damit auf Schritt-Tempo reduziert und so den Fußgängern Vorrang gegeben. Inklusive den Kindern, die hier entspannt auch ohne elterliche Begleitung zur Schule gehen können. In der Versammlung sprach jemand davon „dass doch alle zivilisierten Länder bereits Tempo 30 eingeführt haben“. Wie bei Asterix und Obelix ist das offenbar inzwischen: alle Länder – bis auf eines – unser Audi-Land.
Antrag an den Gemeinderat
Inzwischen hat die Initiative Artenvielfalt einen weiteren Schritt vollzogen und beim Gemeinderat Tempo-30-Zonen für alle Gemeindestraßen – ohne Ausnahme – beantragt. Ein Gemeinderat meinte dazu, dass doch „fast überall“ bereits T 30 gelte. „Fast überall“ ist eben nicht überall. Zur Aufklärung wurden inzwischen die Lücken genau identifiziert (u.a. Seestraße bis Dorfstraße, Dorfstraße bis Ortsausgang, Zum Kuckucksheim / Kuckuckstraße und Bereiche in Etterschlag). Die Spannung ist groß, wie der Gemeinderat über das Anliegen entscheiden wird. Auch der Beitritt der Gemeinde Wörthsee zur Initiative „Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten“ des deutschen Städte- und Gemeindetages wird in diesem Zusammenhang gefordert.
Doja Muggenthaler zog bereits das Fazit, dass die Kommunikation zwischen zwischen Bürgern, Gemeinde und Behörde, verbesserungsfähig sei. „Eine gute Zusammenarbeit kann dazu führen, die Behörden zu überzeugen.“ In ihrem Schlussbeitrag hob sie hervor, dass die stressfreie Mobilität für Radler und Fußgänger ein selbstverständliches Menschenrecht sein sollte.
Bauamt Weilheim und die Staatsstraße
Das dicke Brett ist die Staatsstraße. Hier wird immerhin die Kreuzung Schulstraße inzwischen zu einem Politikum werden, denn die Vorschrift der im Dezember 2021 geänderten STVO ist durchaus klar: Der Schulweg muss auf einer Länge von 250 Metern mit T 30 abgesichert werden, auch wenn das Schulgebäude nicht unmittelbar an der Etterschlager-Straße liegt, hier aber der Haupt-Zugangsweg verläuft. Das wäre vielleicht ein Anfang, der dringend gemacht werden müsste, schon um der Rechtslage Genüge zu tun. Ein Beitrag zum zivilisierten Umgang mit unseren Kindern – das wäre doch etwas?
SB
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