Bitte keinen Wumms mehr.

Ein Kommentar zur deutschen Politik bei der UN-Artenschutzkonferenz im Dezember 2022.

Kahlschlag-1

Ist es Ihnen vielleicht auch aufgefallen? Diesen Sommer, obwohl er warm und trocken war, hörte ich in der Wiese unterhalb der Bahnunterführung keine Grillen mehr. Auch nicht am Denkmal oberhalb Meiling. Das mag vielleicht nicht trotz, sondern wegen der ungewöhnlich hohen Temperaturen gewesen sein, was auf Folgen des Klimawandels hindeuten würde, doch das leuchtet mir auch nicht ein, und es ist ja wohl auch im Effekt egal.

Als ich Kind war, gehörte im Sommer in jeder Wiese „auf dem Land“ das Zirpen der Grillen wie das Summen der Wildbienen zur gewohnten Geräuschkulisse.

Wenn ich mir meine Spazier- und Radlwege um Wörthsee herum anschaue, so gehen diese zumeist durch intensiv beackerte Felder. Naturbelassene Freiräume gibt es kaum. Die wenigen Wiesen werden bereits früh im Mai von turmhohen Traktoren mit riesigen Kreiselmähwerken teppichrasenkurz geschnitten, und wie man von der Wissenschaft weiß, vernichtet diese Art Mahd auch gleich das meiste Wiesenleben mit, von Insekten, Grillen oder Käfern bis sogar zum Rehkitz.

Auch im Ort selbst wird so gut wie jeder nutzbare freie Quadratmeter beackert – das Feld an der Pizzakreuzung in der Ortsmitte wird, wenn denn dort Mais wachsen soll, auch gleich mit reichlich Glyphosat bedacht. Wohl bekomm‘s. Für Fastfood langt es vielleicht, aber für künftige Generationen?

Ein kleiner Lichtblick sind die beiden mit Steuergeld neu angelegten Streuobstwiesen in Auing oder oberhalb Walchstadt und Etterschlag. Aber glauben wir ernsthaft, dass solche Inseln in der Ackersteppe die Artenvielfalt sichern können?

Diese Woche beginnt die Artenschutzkonferenz in Montreal. Wie heute, am 3.12.2022, in der FAZ zu lesen ist, haben wir dort mit Inka Gnittke eine ausgezeichnete Verhandlerin, die auch „das Instrument des akzentuierten Schweigens (beherrscht)“. Und es heißt dort auch, dass „Fachleute den jährlichen globalen ökonomischen (!) Verlust durch das Artensterben auf etwa 4 Billionen Dollar im Jahr (schätzen)“. Und: „Mindestens 30% der Landesfläche und des Meeres“ sollen bis 2030 unter Schutz gestellt werden. „Wir sind in einer dramatischen Lage und müssen jetzt liefern“, sagt Gnittke.

Und dann heißt es zu Kanzler Olaf Scholz, der habe gerade vorab „spätestens von 2025 an 1,5 Milliarden Euro pro Jahr für den internationalen Naturschutz zugesagt“. Wohlgemerkt vor den Verhandlungen. Das Muster, Wumms hier und Wumms dort, kommt mir bekannt vor. Er glaubt, mit dem Scheckbuch, oder besser den Wechseln, die er künftigen Generationen hinterlässt, ließen sich die Probleme lösen. Verkennt er dabei nicht, dass dieses Scheckbuch aus Steuermitteln gefüllt wird? Und diese fließen reichlicher, indem wir mit unserer Wirtschaftsweise im eigenen Land die letzten Lebensräume anderer Arten rücksichtslos beseitigen? Soll diese Vorab-Zusage von Geldtransfers etwa heißen „Artenschutz machen die anderen“? Von 30% Naturschutzflächen in Deutschland „bis 2030“ spricht Scholz nämlich nicht. Nun, in Deutschland stehen derzeit gerade einmal 6,3% der Landesfläche unter Naturschutz. Wir müssen jetzt liefern – sagt Frau Gnittke. Nur wie?

Ginge es nicht vielleicht darum, hier den „Pizzaacker“ aus der Bewirtschaftung zu nehmen, dort einen verbundenen Gürtel von Streuobstwiesen und anderen artenreichen Biotopen rund um den Ort zu schaffen und die Intensivbewirtschaftung von Flur und Wald zurückzufahren? Auf Wachstum im und um den Ort zu verzichten?

Meines Erachtens kann Deutschland nicht mehr auf dem Pfad des weiteren Ausbaus von Industrie, Infrastruktur und Land- bzw. Forstwirtschaft weitergehen. Und die letzten Naturräume mit dafür dann eben auch wieder zusätzlich nötigen Energiegewinnungsanlagen vollpflastern, neue Verkehrswege bauen und noch dazu die für das Wachstum nötigen Arbeitskräfte durch Zuwanderung importieren.

Nur durch einen Stopp des Wachstums ist die Erhaltung von Lebensgrundlagen und Artenvielfalt in diesem Land zu schaffen. Doch ein Stopp des Wachstums verträgt sich nicht mit der Wumms-Politik. Der Staat selbst will mehr Wachstum, um mehr Steuern zu kassieren, um den nächsten Wumms zu versprechen. So treibt ein sich wechselseitig bedingendes System das Land mit Volldampf in den von den Wissenschaftlern beschriebenen dramatischen Verlust seiner Lebensgrundlage.

SB