30% der Landesfläche sollen unter Naturschutz – wie sieht es bei uns aus?
Bei der UN-Artenschutzkonferenz im Dezember 2022 in Montreal hat die deutsche Regierung sich mit vielen anderen Ländern verpflichtet, 30% der Landesfläche unter Naturschutz zu stellen. Ein großes Bekenntnis, dem nun Taten folgen müssten. Ist dieses Ziel überhaupt ernst gemeint und wenn ja, ist es erreichbar?
Gewässer:
Flächen:
Nur 15% sind geschützt.
Die Karte der Naturschutzgebiete in Deutschland zeigt 2019 einen dünnen Besatz mit zwei Ausnahmen. Im Meer und Gebirge sind größere Flächen geschützt. Ansonsten ist die Karte besonders in Bayern so gut wie leer. Laut Bundesamt für Naturschutz stehen derzeit 6,4% der Landesfläche unter Naturschutz und 11,4% unter FFH Schutz, wegen der Überlappungen zusammengerechnet etwa 15,4%. Der Flickenteppich an eher winzigen Gebieten, die sich teilweise überlappen und die zumeist kleiner als 50 Hektar sind, führt laut Bericht zur Lage der Natur 2020 des Bundes-Naturschutzamts zu folgendem Problem:
„Diese kleineren Gebiete sind aufgrund ihrer Insellage und aufgrund der im Verhältnis zu ihrer Fläche langen Grenze stärker von ihrer Umgebung beeinflusst als größere Gebiete. Häufig sind sie damit nicht ausreichend gegen äußere Einflüsse wie Entwässerung und Eutrophierung (Nährstoffeintrag) abgepuffert, was Auswirkungen auf ihren Erhaltungszustand haben kann.“
Der „große Durchbruch“
Bundesumweltministerin Steffi Lemke feiert per Twitter den „großen Durchbruch“ von Montreal. 23 Ziele wurden in Montreal festgelegt. Aber: 20 Ziele davon gab es bereits bei der letzten Artenschutzkonferenz im japanischen Aichi im Jahr 2010! Und: Diese 20 Ziele wurden ausnahmslos verfehlt. Auch jetzt in Montreal wurde keinerlei Verfahren zur Kontrolle festgelegt. Warum sollten wir also nun ein besseres Ziel erreichen?
Wie soll aus 15% naturgeschützter Fläche Deutschlands in nur 7 Jahren 30% werden?
Artenschutz bei den anderen?
Ein Blick in die Pressemitteilung vom 19. Dezember 2022 zu der auch „COP 15“ genannten Konferenz auf der Webseite des Umweltbundesamtes lässt Schlimmes erahnen. Zwar wird dort das 30%-Flächenschutzziel erwähnt, doch mit keiner Zeile nennt das Ministerium nun etwa in unserem Land geplante Maßnahmen zur Zielerreichung.
Hehre Ziele…
Die deutsche Umweltpolitik setzt sich auch sonst gerne große Ziele.
- So trat z.B. 2004 die „Wasserrahmenrichtlinie“ in Kraft. Ihr Ziel: Bis 2027 sollten 100 % der deutschen Flüsse, Seen und sonstiger Gewässer „in gutem ökologischen Zustand“ sein. Damals, vor 19 Jahren, waren ca. 8 % der Gewässer in diesem guten Zustand. Und wo stehen wir heute? Immer noch bei 8 Prozent!
- Seit 2007 gibt es die „Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt“. Der Rechenschaftsbericht von 2021 stellt jedoch fest, dass 11 von 13 Indikatoren „noch weit oder sehr weit vom Zielbereich entfernt“ liegen. So sollten zum Beispiel seit 2020, also seit 3 Jahren schon, „nur noch täglich (!) 30 Hektar unserer Landesfläche versiegelt werden“. Es sind jedoch tatsächlich 56 Hektar, die wir täglich in Deutschland zubauen, so viel wie zu Beginn der Strategie im Jahr 2007.
… immer wieder verfehlt
Das Bundesamt für Naturschutz stellt in seinem jüngsten FFH-Bericht „Die Lage der Natur in Deutschland“ vom 19.5.2020 zur Artenvielfalt fest:
„Besonders ungünstig ist der Zustand bei den Lebensräumen des Grünlands, bei marinen und Küsten-Lebensräumen, Binnengewässern, aber auch bei Mooren und Sümpfen sowie Gletschern. Überwiegend positiv fallen nur die Felsen und Schutthalden auf (s. Abb. 4).„
Kritischer Zustand der Biodiversität trotz Schutz
Unter „Zusammenfassung und Ausblick“ heißt es weiter:
„Die Ergebnisse der nationalen Berichte zur Umsetzung der Fauna-Flora-Habitat- und der Vogelschutzrichtlinie der EU verdeutlichen den kritischen Zustand wesentlicher Teile der Biodiversität in Deutschland: 63 % der FFH-Arten und 69 % der FFH-Lebensraumtypen weisen einen ungünstig-unzureichenden oder -schlechten Erhaltungszustand auf, darunter insbesondere Lebensraumtypen und assoziierte Arten des Grünlands, der Binnengewässer, der Feuchtgebiete und der Meere und Küsten. Etwa ein Drittel der Brutvogelarten sind in den letzten 12 Jahren in ihrem Bestand zurückgegangen, wobei insbesondere Arten des landwirtschaftlich genutzten Offenlandes betroffen sind.
Die Ursachen
Wesentliche Ursachen dieser Entwicklung sind laut dem Bericht:
- „insbesondere hohe Nährstoff- und Pestizideinträge,
- die Intensivierung oder Aufgabe der Flächennutzung, einschließlich der Aufgabe traditioneller Landnutzungsformen,
- die Veränderung der Hydrologie und Morphologie von Gewässern,
- Entwässerung und Grundwasserentnahme,
- Flächenverluste und Zerschneidung durch Ausbau von Infrastruktur, Siedlungs- und Gewerbegebieten,
- aber partiell auch Sport, Tourismus und Freizeitaktivitäten.“
Kahlschlag: nicht-nachhaltige Waldbewirtschaftung zerstört Lebensraum vieler Arten. Foto: Bleek
Schmetterlinge: Zustand der Lebensräume zu 61% ungünstig oder schlecht. Foto: Bleek
Biotop „Moore, Sümpfe und Quellen“ zu 80% in ungünstigem oder schlechtem Zustand. Grafik: Bundesamt für Naturschutz 2020
Bebauung zerstört letzte Brücken z.B. für Fledermäuse zum Naturschutzgebiet. Foto: Bleek
Bebauungsverdichtung: Verlust an Naturraum mit Gehölzen und Freifläche. Foto: Bleek
„Rettet die Bienen“ – war das auch bloß ein Lippenbekenntnis? Foto: Bleek
Meister der Zielverfehlung
Dieses vernichtende Urteil beschreibt nichts anderes als unseren Lebensstil mit den gewaltigen ökologischen Fußabdrücken. Solange die Konsum- und Wachstumsideologie das Leitbild der Gesellschaft bleibt, wird sich daran nichts ändern.
Die Artenschutzziele von heute für 2030 werden also mit großer Sicherheit genauso verfehlt wie die von gestern, wenn wir unser Verhalten und die Ziele unseres Wirtschaftens nicht ändern!
Denn wie sehr die Wirtschaft selber von Artenvielfalt abhängig ist, ist den Akteuren kaum bewusst. Im neuen „Global Risk Report“ des Weltwirtschaftsforums heißt es dazu: die Zerstörung der Biodiversität, die wir derzeit kaum gebremst betreiben, wird laut einer Studie der Weltbank vom Jahr 2030 an jährliche Kosten von mehr als 2,7 Billionen Dollar beziehungsweise einen Rückgang der Weltwirtschaftsleistung von circa 2,3 Prozent verursachen. Erst stirbt die Natur, mit ihr der Wohlstand – auch der der wenigen -, und am Schluss der Mensch selbst, so wird man das zusammenfassen können.
Naturschutz rund um Wörthsee
Im Bayernatlas kann eine Karte aufgerufen werden, die die derzeit bei uns ausgewiesenen Schutzgebiete zeigt:
Schutzgebiete FFH und Naturschutz (rot umrandet bzw. schraffierte Flächen). Karte: Bayernatlas.
Diese Karte zeigt rot eingezeichnet den Flickenteppich von Schutzgebieten. Solche Gebiete schützen besonders die unsere Landschaft prägenden Endmoränenhügel und die Moose an der Amper und an anderen Gewässern. Es gibt bei uns noch große Waldgebiete, Teile von diesen sind bereits geschützt. Aber auf den ersten Blick ist sichtbar, dass der Verbund geschützter Flächen fehlt und dass ein Verkehrsweg wie die A96 mit ihren Schutzzäunen für viele Tierarten eine nahezu unüberwindbare Barriere darstellen muss. Der neben dem Naturschutzgebiet angelegte Golfplatz trägt ebenfalls zum Artensterben bei.
Jede verbliebene Naturinsel ist zu klein, um für die Erhaltung von Artenvielfalt auszureichen.
Und noch dazu steht besonders bei den FFH-Waldgebieten der Schutz zunächst einmal nur auf dem Papier. Denn hier ist Forstwirtschaft ohne wesentliche Abstriche erlaubt. Es obliegt dem Waldbesitzer hier richtig zu handeln. Dazu gibt es hier bei uns, wie in einigen Beiträge im Kuckuck zu lesen ist, positive aber auch negative Beispiele, die uns aufgefallen sind.
Und was nützen dünne Streifen geschützter Gewässer, wenn die angrenzenden Landwirtschaftsflächen den vollen Einsatz ihrer chemischen Keulen betreiben? Ohne eine Rückkehr der Landwirtschaft zu traditionellen Bewirtschaftungsweisen, sprich flächendeckende Bio-Landwirtschaft, ist, wie das Umweltbundesamt in seinem Bericht feststellt, keine Rettung der Artenvielfalt zu haben.
Wir wollen dazu in nächster Zeit noch genauer auf unsere örtlichen Probleme eingehen und lokale Maßnahmen zum Stopp des Artenschwunds erarbeiten.
SB
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